Zwischen unabgeschlossener Trauer und geisterhafter Anerkennung. Darstellungen des Verschwindens im argentinischen Drama (2001-2015)
Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist, das Phänomen des erzwungenen Verschwindens anhand der Analyse von thematisch einschlägigen Theaterstücken zu untersuchen. Obwohl Theaterstücke in der vorliegenden Arbeit nur als Texte untersucht werden, sind nur solche Stücke berücksichtigt, die bereits inszeniert wurden, und somit als Teil des Kampfes um das kollektive und gesellschaftliche Gedächtnis der 1970er Jahre in Argentinien betrachtet werden können. Der Forschungsgegenstand Drama zum Thema Verschwindenlassen befindet sich am Schnittpunkt verschiedener Disziplinen, vor allem, weil die fantastisch-geisterhafte Dimension des erzwungenen Verschwindens einen interdisziplinären theoretischen Rahmen verlangt. Dieser Rahmen bezieht Fachgebiete wie Memory Studies, Literatur- und Theaterwissenschaften, sowie Spectrality Studies ein.
Verschwindenlassen wird hier als eine spezifische Form von Bio-Macht verstanden, die buchstäblich Gespenster in massivem Maßstab produziert. Ziel dabei ist, die Bevölkerung zu terrorisieren, um regressive wirtschaftliche und soziale Transformationen durchzusetzen. Die unheimlichen Folgen dieser Terrormethode sind so konzipiert, dass sie bis in die Gegenwart hineinwirken. Literatur und Theater, und insbesondere das Drama als Genre, in dem sich beide Gattungen überschneiden, können aufschlussreiche Perspektiven auf das Verschwindenlassen, seine phantastisch-geisterhafte Dimension und seine Darstellungsprobleme anbieten. Dank des performativen Charakters des Dramas erscheint tatsächlich das Gespenst auf der Bühne, wenn z.B. eine Figur in einem Theaterstück verkündet: „Ich bin der Tote“ (Ana Longonis La Chira [El lugar donde conocí el miedo]).
Anhand von vier Stücken schlage ich in der Forschungsarbeit vier Kategorien von Dramen vor, die sich auf unterschiedliche Weisen mit dem Thema des Verschwindenlassens auseinandersetzen: das realistische Drama des humanitären Intertextes, geisterhaftes Drama, fantastisches Drama und Drama der Opfer in der Kindheit. Besondere Aufmerksamkeit wird in der Arbeit der fantastischen Dimension des Verschwindenlassens gewidmet, sowie der Frage, wie diese Dimension die realistische Darstellung eines solch komplexen Phänomens herausfordert, und wie nicht-realistische und experimentellere Theaterstücke dieses Problem überwinden. In der Schlussfolgerung der Forschungsarbeit werden Merkmale jeder textuellen Gruppe oder Makropoetik (Dubatti 2002) systematisiert. Sie werden untereinander anhand analytischer Kategorien verglichen, die sich aus der gründlichen Untersuchung der Stücke ergeben. Aufgrund dieser Ergebnisse werden neue Probleme identifiziert, die aus den untersuchten Werken stammen, wie die Beziehungen zwischen Spectrality und Erbe, Geschwisterlichkeit und Übertragung, und Trauer und Politik.
Wissenschaftlicher Werdegang
Seit 07.2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden, Universität Konstanz
Seit 2017 Mitglied des Forschungsgruppe “Teatro Contemporáneo, Política y Sociedad en América Latina”, Instituto de Investigaciones “Gino Germani”, Universidad de Buenos Aires (UBA)
09.2017 – 12.2017 Promotionsstipendiatin, Universität Konstanz
2011 – 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt „Narrative des Terrors und Verschwindens. Fantastische Dimensionen kollektiver Erinnerungen an die letzte Diktatur in Argentinien (1976-1983)“, European Research Council (ERC) / Universität Konstanz
03.2011 – 08.2011 Promotionsstipendiatin im Rahmen des Projekts „Narrative des Terrors und Verschwindens. Fantastische Dimensionen kollektiver Erinnerungen an die letzte Diktatur in Argentinien (1976-1983)“, ERC / Universität Heidelberg
1998 – 2006 Mitglied der Koordination des Projekts “Reconstrucción de la identidad de los desaparecidos. Archivo biográfico familiar de Abuelas de Plaza de Mayo”, Instituto de Investigaciones “Gino Germani”, UBA / Secretaría de Ciencia y Técnica UBA (UBACyT)
2000 – 2002 Stipendiatin der Secretaría de Ciencia y Técnica UBA (UBACyT) (Stipendium „Estímulo“)
1997 – 2004 Studium der Politikwissenschaft an der Universidad de Buenos Aires